Müdes Deutschland 2.0
Schlafstörungen in Arbeit und Alltag: Neue Zahlen, Ursachen, Lösungen
2010–2025: Die Entwicklung einer Volkskrankheit
Deutschland ist müde. Müder als je zuvor.
Was vor Jahren noch als Randerscheinung galt, hat sich zu einer der größten gesundheitlichen Herausforderungen unserer Zeit entwickelt. Schlafstörungen sind zur Volkskrankheit geworden, die nicht nur die Betroffenen, sondern die gesamte Gesellschaft belastet.
Der DAK-Gesundheitsreport 2017 war der Weckruf: Seit 2010 waren die Schlafstörungen bei Berufstätigen zwischen 35 und 65 Jahren um 66 Prozent gestiegen. Doch die Geschichte endet nicht hier – neue Daten zeichnen ein noch besorgniserregenderes Bild.
Der DAK-Report 2017 im Rückblick
Der DAK-Gesundheitsreport 2017 mit dem Titel „Deutschland schläft schlecht“ war die erste umfassende Bestandsaufnahme der Schlafsituation in Deutschland. Die Ergebnisse waren alarmierend: Von 2010 bis 2015 hatten sich die Schlafprobleme bei Erwerbstätigen im Alter von 35 bis 65 Jahren um 66 Prozent erhöht.
Die krankheitsbedingten Ausfalltage aufgrund von Schlafstörungen stiegen um 70 Prozent auf 3,86 Tage je 100 Versicherte. Eine Krankschreibung dauerte durchschnittlich 10,9 Tage. Besonders beunruhigend: Nur 4,8 Prozent der Betroffenen suchten ärztliche Hilfe – die große Mehrheit kämpfte allein.
Zentrale Befunde des DAK-Reports 2017:
- 80 Prozent der Arbeitnehmer waren betroffen
- 9,4 Prozent litten unter schweren Schlafstörungen
- 60 Prozent Anstieg der Insomnien seit 2010
- Fast doppelt so viele Arbeitnehmer nahmen Schlafmittel ein
Die zunehmenden Schlafstörungen in der Bevölkerung sollten uns wachrütteln. Viele Menschen kümmern sich nachts um volle Akkus bei ihren Smartphones, aber sie können ihre eigenen Batterien nicht mehr aufladen.
Deutschland 2025: Neue Daten, neue Dynamiken
Acht Jahre nach dem DAK-Report zeigt sich: Die Situation hat sich nicht verbessert, sondern weiter verschärft. Aktuelle Daten aus verschiedenen Quellen zeichnen ein einheitliches Bild des zunehmenden Schlafmangels.
(Barmer 2023)
(25-29 Jahre)
(Pronova BKK 2024)
(TK Report 2023)
Entwicklung der Schlafstörungen in Deutschland 2010-2025

Quelle: DAK-Gesundheitsreport 2017, Barmer Gesundheitsreport 2023, Pronova BKK Schlafstudie 2024
Barmer Gesundheitsreport 2023
Die Barmer-Krankenkasse verzeichnete 2023 einen Anstieg der Schlafstörungsdiagnosen auf 7,3 Prozent ihrer Versicherten – das entspricht bundesweit etwa 6,2 Millionen Menschen. Im Vergleich zu 2013 (5,5 Prozent) bedeutet dies einen Anstieg von etwa einem Drittel.
Pronova BKK Schlafstudie 2024
Die repräsentative Schlafstudie ergab: 30 Prozent der Deutschen haben massive Einschlafprobleme, 39 Prozent greifen zu Schlafmitteln (bei 18-29-jährigen: 57 Prozent), und im Durchschnitt wachen Menschen 1,7-mal pro Nacht auf.
Altersverteilung und Schlafmittelkonsum in Deutschland

Besonders auffällig: Die Generation Z (18-29 Jahre) zeigt den stärksten Anstieg und höchsten Schlafmittelkonsum.
Ursachen der Schlafkrise
Die Ursachen für die Schlafkrise sind vielfältig und reichen von strukturellen Arbeitsbedingungen bis zu individuellen Lebensstilfaktoren. Die moderne Arbeitswelt ist zum Hauptstressor geworden: Konstante Erreichbarkeit durch digitale Medien, steigende Leistungsanforderungen, unsichere Arbeitsverhältnisse und flexible Arbeitszeiten belasten die Menschen zunehmend.
Hauptursachen und Lösungsansätze der Schlafkrise

Die digitale Transformation und moderne Arbeitsbedingungen haben tiefgreifende Auswirkungen auf unser Schlafverhalten.
Wichtige Faktoren:
- Arbeitsstress und ständige Erreichbarkeit: Die WHO-Studie 2023 identifiziert Arbeit als einen der Hauptfaktoren für Schlafstörungen
- Digitale Medien und Blaulicht: Bildschirme unterdrücken die Melatonin-Produktion und stören den natürlichen Schlaf-Wach-Rhythmus
- Psychologischer Druck: FOMO (Fear of Missing Out), soziale Vergleiche und Zukunftsängste belasten besonders junge Menschen
- Physiologische Veränderungen: Erhöhte Cortisol-Spiegel durch chronischen Stress und veränderte Dopamin-Regulation
Folgen für Gesundheit & Wirtschaft
Die Auswirkungen der Schlafkrise reichen weit über müde Augen und gähnende Kollegen hinaus. Langfristiger Schlafmangel erhöht das Risiko für schwerwiegende gesundheitliche Probleme: Herz-Kreislauf-Erkrankungen (bis zu 48 Prozent höheres Risiko für Herzinfarkte), metabolische Störungen wie Diabetes und Übergewicht, psychische Erkrankungen wie Depression und Angststörungen, sowie neurodegenerative Erkrankungen mit erhöhtem Demenzrisiko.
Die volkswirtschaftlichen Kosten sind enorm: Schätzungen gehen von jährlichen Kosten von bis zu 60 Milliarden Euro aus, was einem Produktivitätsverlust von 1,6 Prozent des Bruttosozialprodukts entspricht. Diese Kosten entstehen durch Produktivitätsverluste, erhöhte Gesundheitsausgaben, 210.000 zusätzliche Krankheitstage jährlich und verringerte Leistungsfähigkeit am Arbeitsplatz (Präsentismus).
Gesundheitliche Risiken:
- Herz-Kreislauf-Erkrankungen: +48% Risiko
- Depression & Angst: +60% Risiko
- Immunschwäche: +40% Infektanfälligkeit
- Demenz & kognitiver Verfall: +30% Risiko
- Diabetes & Übergewicht: +35% Risiko
Volkswirtschaftliche Kosten und Gesundheitsrisiken der Schlafkrise

Die volkswirtschaftlichen Kosten von 60 Milliarden Euro jährlich machen deutlich: Schlaf ist eine gesellschaftliche Ressource, die geschützt werden muss.
Prävention & Schlafkompetenz
CBT-I: Der Goldstandard
Die Kognitive Verhaltenstherapie bei Insomnie (CBT-I) ist der Goldstandard der Schlaftherapie. Mit einer Wirksamkeit, die in über 100 Studien nachgewiesen wurde, bietet sie dauerhafte Verbesserung der Schlafqualität ohne die Nebenwirkungen von Medikamenten. Die Erfolgsrate liegt bei über 95 Prozent.
Verknüpfung zu weiterführenden Informationen:
Stressmanagement im Arbeitsalltag
Ernährung für besseren Schlaf
Evidenzbasierte Maßnahmen:
- Lichtmanagement: Morgendliches Tageslicht und Vermeidung von Blaulicht vor dem Schlafengehen
- Ernährung und Schlaf: Vermeidung von Koffein und Alkohol, schlaffördernde Nahrungsmittel
- Achtsamkeit und Entspannung: Progressive Muskelentspannung, Atemübungen und Meditation
- Technologische Unterstützung: Sleep-Tracking, Blaulicht-Filter und Entspannungs-Apps
Schlaf ist keine Privatsache, sondern eine gesellschaftliche Ressource, die geschützt werden muss. Investition in Prävention statt Behandlung ist der Weg nach vorn.
Fazit & Ausblick
Die Datenlage ist eindeutig: Deutschland befindet sich in einer Schlafkrise, die sich in den letzten Jahren weiter zugespitzt hat. Waren es 2017 noch 34 Millionen Betroffene, sind es heute mindestens 6,2 Millionen Menschen mit diagnostizierten Schlafstörungen – Tendenz steigend.
Besonders alarmierend ist der Befund, dass besonders junge Menschen betroffen sind. Der Anstieg bei der Generation Z um über 100 Prozent zeigt, dass die digitale Transformation und moderne Lebensumstände tiefgreifende Auswirkungen auf unser Schlafverhalten haben. Die volkswirtschaftlichen Kosten von 60 Milliarden Euro jährlich und die massiven gesundheitlichen Risiken machen deutlich: Schlaf ist keine Privatsache, sondern eine gesellschaftliche Ressource, die geschützt werden muss.
Doch es gibt auch Hoffnung. Die Wirksamkeit evidenzbasierter Therapien wie der CBT-I ist wissenschaftlich belegt. Unternehmen erkennen zunehmend die Bedeutung erholsamer Schlafes für die Produktivität. Und die Gesellschaft beginnt, das Thema ernst zu nehmen. Der Weg nach vorn erfordert ein Umdenken: Weg von der 24/7-Verfügbarkeitskultur hin zu einer Kultur der Regeneration und Achtsamkeit.
Deutschland hat die Wahl:
Weiter auf dem Weg zur chronisch übermüdeten Gesellschaft oder bewusste Entscheidung für einen gesunden, erholsamen Schlaf als Grundlage für Leistungsfähigkeit und Lebensqualität.
Quellenverzeichnis
- DAK-Gesundheitsreport 2017 – „Deutschland schläft schlecht – ein unterschätztes Problem“, DAK-Gesundheit, Hamburg, März 2017
- TK-Gesundheitsreport 2023 – „Wie geht’s Deutschlands Studierenden?“, Techniker Krankenkasse, Juni 2023
- Barmer Gesundheitsreport 2023 – Analyse der Schlafstörungsdiagnosen 2012-2023, Barmer Krankenkasse, Oktober 2024
- Pronova BKK Schlafstudie 2024 – „Ergebnisse zur Schlafstudie 2024″, Pronova BKK, Februar 2024
- AOK Rheinland/Hamburg 2024 – Pressemitteilung „Schlafstörungen verursachen so viele Krankenscheine wie nie zuvor“, Juni 2024
- WHO Global Sleep Study 2023 – „Worldwide prevalence of sleep problems in community-dwelling older adults“, WHO, 2023
- Charité-Universitätsmedizin Berlin – Interdisziplinäres Schlafmedizinisches Zentrum, Forschungsberichte 2022-2024
- Deutsche Gesellschaft für Schlafforschung und Schlafmedizin (DGSM) – „Schlaf, ein bedeutsamer Wirtschaftsfaktor“, Juni 2018
- Statista – Marktdaten Schlafmittel Deutschland 2024, Statista GmbH, Hamburg
- Deutsches Ärzteblatt – „39 Prozent der Deutschen nehmen Schlafmittel“, Januar 2025
- Epidemiologischer Suchtsurvey (ESA) 2021 – „Zahlen, Daten, Fakten“, Deutsche Hauptstelle für Suchtfragen, Oktober 2023
- SRF News – „Insomnie nimmt zu – Der Griff zu Schlafmitteln ist nicht ganz unproblematisch“, Schweizer Radio und Fernsehen, Februar 2025